"Stehst du auf Ältere?", will er wissen. Und: "Ich weiß mit hundertprozentiger Sicherheit, dass du bestimmt schon an dir rumgespielt hast." Der "liebe Onkel" lauert Kindern heute nicht mehr nur am Spielplatz auf, er kommt per Internet-Chat und Webkamera direkt ins Kinderzimmer.
Lilos Fall ist einer von vielen, die derzeit den Hilfe-Verein "Zartbitter Köln" beschäftigen. Dort wird Lilo und anderen sexuell ausgebeuteten Kindern geholfen, ihre schockierenden Erlebnisse zu verarbeiten. Um dafür Strategien zu entwickeln, setzte sich "Zartbitter"-Leiterin Ursula Enders selbst den Pädophilen im Chat aus: Seit Oktober ließ sie sich als 13-jährige "suesse13w1990" oder als zwölfjähriger "Mike" ansprechen und bekam teils erschreckende Fotos zugeschickt. "Was die Kinder dort zu sehen bekommen, hat ein viel größeres Ausmaß sexueller Gewalt als sogar die Folterbilder aus dem Irak", sagt Enders. "Manchmal bin ich morgens kreidebleich ins Büro gekommen."
27 Anfragen in zehn Minuten
So wurde die "süße 13-Jährige" in einem Teen-Chat innerhalb von zehn Minuten 27 Mal angesprochen: Ein Teilnehmer fragt, ob sie "Lust auf CS" hat - Cybersex, also beiderseitige Selbstbefriedigung vor laufenden Webkameras. Ein Paar zeigt sich der "13-Jährigen" per Nacktfoto und bietet ihr an, beim Sex vor der Webcam zuzuschauen.
Eine Frau - auf Nachfrage gibt sie ihr Alter mit 40 Jahren an - erzählt von ihren Sex-Praktiken mit ihrem jugendlichen Sohn. Fotos kursieren zum Sex unter Geschwistern oder Sex zwischen Eltern und Kindern. Schluss war oft erst, wenn "Zartbitter"-Chefin Enders ankündigte, sie würde "jetzt mal die Mama holen, dann könnt ihr euch weiter unterhalten".
Workshops von Zartbitter e.V. Das ist auch Enders' Tipp für die Eltern: Erstens sollten sie wissen, was Kinder im Internet erwartet. Dafür veranstaltet "Zartbitter" demnächst im Rheinland Elternabende und Workshops. Zweitens sollten sie ihre Kinder sensibilisieren und ihnen raten, Erwachsene ins Spiel zu bringen, wenn sie im Internet sexuell belästigt werden. "Sobald Kinder signalisieren, dass sie einen Erwachsenen an den Bildschirm holen, verschwinden die Pädophilen aus dem Chat", resümiert Enders ihre Erfahrungen.
Doch strafrechtlich verfolgbar sind oft nur wenige der Pädophilen. Daher fordert "Zartbitter" gemeinsam mit dem Verein "NetKids", Politiker müssten bestehende Gesetzeslücken schließen. Wer im Chat zum Beispiel nicht ausdrücklich sage, dass es um Sex geht, dem könne in der Regel keine Straftat nachgewiesen werden.
Gesetzeslücken beklagt Zudem könnten Chat-Teilnehmer immer behaupten, sie glaubten, beim Anbahnen der Sex-Kontakte mit Erwachsenen zu reden. Da heißt es dann oft: Im Internet ist es üblich, ein falsches Alter oder Geschlecht anzugeben.
Während in den USA eine eigene FBI-Ermittlergruppe die Sex-Täter unter Pseudonym ködert und sie bei späteren Treffen festnimmt, gibt es in Deutschland solche "Lockvogel-Aktivitäten" laut Bundeskriminalamt nicht. "Wir haben 20 Fahnder, die im Internet Streife laufen und anlassunabhängig surfen", sagt der stellvertretende BKA-Sprecher Dirk Büchner. "Unsere Internet- Fahnder richten ihren Blick allerdings auf alle Arten von Straftaten, von Drogen- über Wirtschaftskriminalität bis zur Kinderpornografie. Eine spezielle Fahndergruppe für die Sex- Ausbeutung von Kindern gibt es nicht."
von Sebastian Okada, dpa
Quelle des Artikels: ZDF (DE)